Neuigkeit | FÖPS-Werkstattgespräche

Fremdenfeindlichkeit als Thema der Polizeiforschung

Während in der Politik noch darum gestritten wird, ob es eine Studie zu Rechtsextremismus in der Polizei braucht, diskutiert das FÖPS Berlin die methodischen und institutionellen Herausforderungen.

01.12.2020 — Sven Lüders

Seit diesem Jahr wird viel darum gestritten, ob es angesichts der wiederkehrenden Vorfälle mit menschenverachtenden Äußerungen sowie diskriminierender Polizeipraktiken eine Studie über rechte Einstellungen unter Polizist*innen braucht. In dieser Debatte hat sich auch Wilhelm Heitmeyer zu Wort gemeldet, dessen Langzeituntersuchung über „Deutsche Zustände“ (Bände 1-10, erschienen bei Suhrkamp 2002-2012) zu den führenden deutschen Rechtsextremismus-Studien zählt. Das FÖPS Berlin hatte ihn und weitere Wissenschaftler für den 11. November 2020 zu einem Werkstattgespräch eingeladen: "Warum ist es so schwierig, Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit in der Polizei zu untersuchen?".

Der Kontext

Zu den Prämissen dieser Diskussion gehört – so Wilhelm Heitmeyer – dass es sich bei der Polizei um eine besondere Organisation handelt. Da ihr das staatliche Gewaltmonopol übertragen wurde, ist es im Sinne der Gewaltenteilung und der demokratischen Kontrolle nur folgerichtig, dass die Öffentlichkeit besondere Kontroll- und Transparenzanforderungen an sie stellt: die Polizei ist eben nicht „Feuerwehr oder Schule“. Die durchsichtigen Ablenkungs- und Immunisierungsstrategien (etwa: dass man keine illegalen Praktiken untersuchen könne; dass eine Studie zu rassistischen Einstellungen einem Generalverdacht gleichkomme etc.) untergraben letztlich diesen legitimen demokratischen Anspruch auf eine Transparenz der polizeilichen Arbeit.

Das Problem rassistischer Einstellungen unter Polizist*innen ist nicht neu. Neu sind im Jahr 2020 dagegen die gesellschaftlichen Umstände, in denen diese Debatte stattfindet: die „gesellschaftliche Rechtsentwicklung“ (Heitmeyer), die Verschiebung gesellschaftlicher Mehrheiten nach rechts und der damit verbundene Bedeutungsgewinn für die Rechten. Was dies für die Untersuchung rechtsextremer Einstellungen unter Polizist*innen bedeutet, erläuterte Heitmeyer anhand seines Modells des „konzentrischen Eskalationskontinuums“ (nach Heitmeyer et al. 2020, S. 59):

Schema von Eskalationszirkeln

[Abbildung nach: W. Heitmeyer, M. Freiheit & P. Sitzer, Rechte Bedrohungsallianzen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2020, S. 59]

Demnach lassen sich rechte Einstellungen innerhalb der Gesellschaft in verschiedenen Milieus, mit jeweils unterschiedlichen Intensitätsstufen ausmachen: das reicht von der Verbreitung gruppenbezogener menschenfeindlicher Einstellungen in der Bevölkerung über nationalradikale (AfD-Wählerschaft) und systemfeindliche Milieus bis zu den rechtsterroristischen Akteur*innen sowie deren Unterstützer*innen. Gemeinsames Merkmal der verschiedenen Milieus sei die Ideologie der Ungleichwertigkeit, die ebenso wie die Akzeptanz von Gewalt zu den inneren Milieus hin zunimmt.

Für eine Untersuchung rechter Einstellungen sei es wichtig, zwischen den verschiedenen Ebenen des Eskalationskontinuums zu unterscheiden (1. Wie verbreitet sind rassistische Einstellungen unter Polizist*innen; 2. Wie hoch ist der Anteil von AfD-Wähler*innen unter Polizist*innen; 3. Wie viele Polizist*innen können dem systemfeindlichen Milieu zugerechnet werden, weil sie Gruppen wie den Reichsbürgern angehören etc.) und zugleich auf die inhaltlichen Verbindungen zwischen diesen Milieus (Legitimationsbrücken) zu achten. Schließlich sei zu beachten, dass eine sozialwissenschaftliche Forschung realistisch nur die beiden äußeren Schichten des rechten Eskalationskontinuums untersuchen könne – der Zugang zu den inneren Zirkeln bleibe ihr in der Regel verwehrt. Der wissenschaftlichen Aufklärung des rechtsextremistischen Komplexes sind daher enge Grenzen gesetzt. (In diese inneren Kreise bieten dagegen investigative Journalist*innen Einblicke.)

Erschwerende Bedingungen

Jenseits der Ausbreitung rechten Gedankenguts in der Gesellschaft und der politisch-administrativen Widerstände sieht Heitmeyer mehrere Faktoren, die eine Untersuchung rechtsextremer Einstellungen bei der Polizei zusätzlich erschweren:

a) begriffliche Schwierigkeiten: Heitmeyer lehnt es ab, den Begriff des „strukturellen Rassismus“ auf die Polizei anzuwenden. Dieser Begriff suggeriere, dass der staatliche/gesetzliche Arbeitsauftrag für die Polizei bereits rassistisch geprägt sei (was für die NS-Zeit gelten könne, aber nicht für die bundesdeutsche Polizei), und dass alle nicht-rassistischen Polizist*innen Abweichler seien. Heitmeyer sprach sich vielmehr dafür aus, „institutionellen Rassismus“ in Form von „Gelegenheitsstrukturen“ zu untersuchen: also welche Arbeits- und Handlungsbedingungen die Entstehung/Verstärkung rassistischer Einstellungen befördern.

b) institutionelle Blockaden für die Umsetzung einer Fehlerkultur: Sowohl die Regierungen, ihre Innenverwaltungen wie auch die Polizeibehörden sind nach Heitmeyer von einer Handlungslogik geprägt, die einen offenen Austausch mit Organisationsdefiziten erschwert – da man durch öffentlich diskutierte Fehler nicht die Wiederwahl, die Zuweisung von Haushaltsmitteln oder die eigene Karriere gefährden wolle und quasi immer „zum Erfolg verdammt“ sei.

c) die Polarisierung der öffentlichen Debatte zwischen Immunisierungsstrategien zur Abwehr jeglicher Kritik einerseits und der pauschalen Polizeikritik („Polizisten auf den Müll“) andererseits, die eine wissenschaftlich-distanzierte Untersuchung des Themas erschwere.

d) die Erwartungen an schnelle Befunde und zeitnahe Lösungen, die eine seriöse wissenschaftliche Untersuchung so nicht einlösen könne (weil z.B. Längsschnittstudien über Sozialisationseffekte einige Jahre dauern).

Um die wissenschaftliche Unabhängigkeit einer entsprechenden Untersuchung zu gewährleisten, sprach sich Heitmeyer dafür aus, dass der entsprechende Auftrag nicht durch Innenministerien vergeben bzw. finanziert wird, sondern dies unter der Obhut einer neutralen Förderstelle (z.B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft) geschieht.

Gegenstände der Untersuchung

Heitmeyer hielt es für notwendig, die zu untersuchenden Fragen noch genauer zu klären. Eine Untersuchung der Verbreitung rechter bzw. rechtsextremer Einstellungen unter Polizist*innen habe nämlich aufgrund der zahlreichen bereits existierenden Studien über rechte Einstellungen in der Bevölkerung und des oben beschriebenen Eskalationszusammenhangs nur begrenzte Aussagekraft – aufschlussreich wäre höchstens eine längerfristige Beobachtung entsprechender Trends in der Polizei, vergleichbar den Leipziger Mitte-Studien oder den Untersuchungen „Deutscher Zustände“.

Wertvoller als „Einstellungsstudien“,  wäre nach Heitmeyer die qualitative Erforschung von „Risikokonstellationen“ im Arbeitsalltag der Polizist*innen, weil diese strukturelle Zusammenhänge erhellen würden. Hierzu stellte er vier mögliche Forschungsperspektiven vor:

1. die Selektivitätshypothese: Welche Personengruppe interessiert sich besonders für den Polizeiberuf - und welche nicht?
2. die Sozialisationshypothese: Welche Mechanismen im Arbeitsalltag befördern polizeiliche Grenzüberschreitungen und Gewaltanwendungen?
3. die Institutionenhypothese: Welche Gelegenheitsstrukturen in den polizeilich-institutionellen Abläufen befördern rechtes Bewusstsein?
4. die Normalisierungshypothese: Welchen Einfluss hat die zunehmende Verbreitung rechter Einstellungen in der Bevölkerung auf Grenzüberschreitungen durch Polizist*innen?

Diese vier Hypothesen sollten einzeln, aber auch in ihrem Zusammenwirken erforscht werden. Das könne nur mit einem Mix aus verschiedenen methodischen Ansätzen gelingen, von der Einstellungs- und Netzwerkforschung bis hin zu ethnografisch-qualitativen Methoden - eine Befragung von Polizist*innen allein sei nicht ausreichend, um diese Fragen seriös beantworten zu können. Um die methodischen Probleme, die sich mit diesen Untersuchungsfragen stellen, besser verstehen und behandeln zu können, sei ein breiter wissenschaftlicher Austausch zwischen verschiedenen Forschungsgruppen und -ansätzen notwendig.

Statements der Co-Referenten und Diskussion

Hans-Gerd Jaschke, der in den 1990er Jahren bereits Untersuchungen zu rechten Einstellungen bei Polizist*innen durchgeführt hat, wies in seinem Kommentar zum Vortrag Heitmeyers darauf hin, dass sich das Konzept der Eskalationskreise gut mit Ansätzen zur Untersuchung von Radikalisierungsprozessen verbinden lasse (die ähnliche Stufen durchlaufen). In Bezug auf die zu erforschenden Fragestellungen sprach er sich für drei Schwerpunkte aus: die Identifikation riskanter Handlungsanforderungen bei der Polizei (zu erinnern ist beispielsweise an die individuellen Ermessensspielräume bei verdachtsunabhängigen Personenkontrollen); an Kohortenuntersuchungen, die unterschiedliche Stadien des Berufsverlaufs abdecken; sowie an Studien zu besonders belasteten Einsatzbereichen (um deren besondere Gruppendynamiken und Risiken zu erfassen).

Christoph Kopke warnte schließlich vor der Illusion, mit wissenschaftlicher Forschung allein ließe sich das Problem des Rechtsextremismus in der Polizei lösen. Er verwies darauf, dass seit mittlerweile fast 30 Jahren entsprechende Befunde über die Verbreitung rechten Gedankenguts unter Polizist*innen vorliegen und es keine Immunisierung gegen derartige Einflüsse auf die Polizei gebe.

An den Vortrag von Herrn Heitmeyer und die beiden Kommentierungen schloss sich eine rege Diskussion mit den Teilnehmer*innen an. Diese ging u.a. um die verschiedenen Abwehr- und Immunisierungsstrategien; um den zu untersuchenden Gegenstand sowie auch darum, ob es sachgerechter sei, von strukturellem oder von institutionellem Rassismus zu sprechen.